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Etwas über die Deutsche Wirtschaft


Gast Wilfried

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Gast Wilfried
Hallo,
in einem anderen Forum wird gerade über den Streik bei VW diskutiert.
Ein Member hat dazu einen Beitrag geschrieben den ich voll und ganz unterschreibe und so gut finde, das ich ihn hier hin kopieren muss:




Hallo,

ein ziemlich komplexes Thema, schwer in einem Forum zu diskutieren. Aber ich sehe die Dinge mittlerweile auch anders als ich sie noch vor wenigen Jahren gesehen habe. Um es vorweg zu schicken, ich habe den fachlichen Hintergrund, den die "Spitzen"-Manager in Form von BWL und VWL größtenteils auch haben. Die Frage ist nur, welche Schlüsse man aus diesem Wissen zieht. Und das ist meiner Meinung nach, woran es hapert.

Wenn es einer Firma schlecht geht (warum auch immer, das ist nicht vordergründig; schlechte Geschäftslage, schlechtes Management, schlechte Belegschaft (letzteres eigentlich eher selten)), dann spricht überhaupt gar nichts dagegen, daß entweder Mitarbeiter entlassen werden oder weniger Geld gezahlt wird. Jeder von uns wird in so einer Situation den eigenen Arbeitsplatz und die Erhaltung dessen wählen, auch wenn das persönliche, finanzielle Einschnitte bedeutet.

Was aber im Moment in der Automobilbranche passiert, hat nichts, aber auch gar nichts mit kranken Konzernen oder gar "Wettbewerbsfähigkeit" zu tun. Letzteres ist das dümmste Geschwätz der letzten Jahrzehnte und keiner sagt was dagegen. Noch nicht mal die Politik. Aber die sitzen ja an den Fleischtrögen in diversen Aufsichtsräten. Das einzige was krank ist in diesem Land ist das Management solcher Konzerne und deren Handlanger.

Es wird immer irgendwo auf diesem Planeten eine Fabrik geben, die das Gut XY billiger produzieren kann als die andere. Klar schrauben die Tschechen den VW billger zusammen als die Werker in Wolfsburg. Aber dafür werden sie den Wagen nie kaufen können zu den Lohnbedingungen, weil sie dafür weit mehr als ein Jahresgehalt aufbringen müßten. Und hier wird ihn am Ende dieser zu Ende gedachten Spirale auch keiner kaufen, weil alle arbeitslos sind. Was schon der alte Henry Ford wußte, daß Autos keine Autos kaufen, wird von diesen "Elite"-Managern völlig verachtet. Hauptsache billig produziert. Mal ganz davon abgesehen, daß die "Billig"-Arbeiter in Polen, Tschechien und sonstwo keinerlei Arbeitnehmer-Rechte haben, keine soziale Absicherung, nichts. Von den umweltpolitischen Gesichtspunkten auch mal ganz abgesehen, denn da kann ja produziert werden ohne Rücksicht auf Verluste. Und wenn nicht da, dann eben in Rußland, China oder sonstwo. Hauptsache billig produziert.

Das ganze Dilemma läßt sich auf einen ganz kleinen Nenner bringen. Das, was dieses Land jahrzehntelang stark gemacht hat (wie gesagt, es wurde draußen schon immer irgendwas billiger produziert), wird jetzt mit Füßen getreten. So alt und billig der Spruch ist, aber die Wirtschaft ist gerade dabei, die Kuh, die sie melken zu schlachten. Jahrzehntelang wurde die Fahne der sozialen Marktwirtschaft hochgehalten. Und es hat funktioniert. Weil hier nicht wegen jedem Scheiß wie in Italien und Frankreich ein Generalstreik proklamiert wurde, weil es hier auch politisch ruhig war im Gegensatz zu irgendwelchen Bananendiktaturen.

Jetzt kommen da irgendwelche Schlauköpfe an und schimpfen diesen Prozeß "Globalisierung". Da sollte man erst mal klären, was damit gemeint ist. Die Globalisierung der Waren- und Geldströme und entsprechende Handelsbeziehung und das in Konkurrenz stehen verschiedener Wirtschaftsstandorte ist damit meiner Meinung nach nur am Rande gemeint. Wird aber vordergründig so verkauft. Worüber keiner spricht, was aber das eigentlich vordergründige ist, ist das systematische Zerschlagen von Arbeitnehmerrechten, Sozialsystemen, hin zu einem Hire- and Fire-Kapitalismus, wie wir ihn hier bisher nur zu Zeiten der frühen Industrialisierung kannten. Totale Ausbeutung des Arbeitnehmers zu Gunsten des Kapitals.

Das, was sich so schön weichgespült "Globalisierung" nennt, ist nichts anderes als eine Amerikanisierung der Wirtschaftssysteme. Dort herrscht von jeher dieser blanke, zynische und menschenverachtende Kapitalismus, der nur noch zwei Gesellschaftsschichten hervorbringt. Die, die an der Sonne sind und mit fettem Job fette Kohle kassieren und die, die für einen Hungerlohn mehrere Jobs haben müssen, um überhaupt was im Kühlschrank zu haben. Mein Schlüsselerlebnis war ein USA-Aufenthalt, wo man abseits der Pauschal-Touristenpfade mal hinter die Kulissen guckt. Nix "God's own country" oder "das Land der unbegrenzten Möglichkeiten", sondern das größte Scheißhaus unter der Sonne. 80 jährige Rentner, die bei Walmart die Taschen der Käufer vollpacken, das für 5 $ die Stunde, weil die Rente nicht reicht oder gar keine da ist. Wo Menschen bis zu ihrem Tod arbeiten müssen, weil es für eine Vorsorge nie gereicht hat und der Staat nichts dafür tut und das als "Freiheit" verkauft. Das ist Globalisierung, die Angleichung ans amerikanische Wirtschaftssystem, weil so wesentlich mehr für die Wirtschaft und ihre Lenker über bleibt. Unter diesen Vorzeichen will ich das nicht und ich werde ebenfalls dagegen kämpfen, wenn es in unserem Laden damit losgeht. Es geht nicht um die übertarifliche Bezahlung bei VW oder Opel oder Daimler, es geht um das Warum, warum dieses weg soll. Und deshalb ist es richtig, was die Opelaner und jetzt die VW'ler tun. Aber weil es uns immer noch zu gut geht und immer noch nicht genug Angst um ihre Arbeitsplätze habe, die sie ans Kapital verlieren, gehen noch viel zu wenig Leute auf die Straßen.

Worum geht es bei der ganzen Diskussion eigentlich? Beispiel DaimlerChrysler: Es geht hier nicht um die Sanierung eines angeschlagenen Konzerns wie bei Karstadt. Den haben die Manager ruiniert und auch die jetzt vereinbarte Sanierung wird ihn nicht retten können. Es müssen nicht 500 Mio € p. a. "gespart" werden, weil es überlebenswichtig ist für die Firma. Nein, sie werden gespart, weil nur die Quartals- und die Jahresbilanz zählt. Weil der Aktionär entsprechendes "Wachstum" sehen will. Und das geht nur über kurzfristigst realisierte Gewinne. Egal wie, egal auf wessen Kosten. Und diese 500 Mio € Einsparung erhöhen in gleicher Höhe den Gewinn. Zumindest kurzfristig, aber nur darum geht es dann ja. Möglichst kurzfristig möglichst viel Gewinn ausweisen.

Es würde viel zu weit führen, das in all seinen Facetten zu beleuchten, aber Fakt ist, daß nicht "Strukturprobleme", "verminderte Wettbewerbsfähigkeit" und sonstige Blödsinns-Schlagworte verantwortlich sind für unsere Probleme, sondern die immer ungezügeltere Gewinngier der Kapitalgesellschaften und ihrer obersten Leitung. Nur darum geht es, Kohle für den Aktionär (bei "Shareholder Value" als Bezeichnung dafür kriege ich das Kotzen) und für die Unternehmensleitung. Und wenn der Manager XY den Laden totgespart hat, dann geht er eben mit fetter Abfindung zum nächsten. Wir haben unseren gerade zur Telekom geschickt, Piech ging glaube ich von Opel zu VW (oder war das Pischetsrieder?) usw. Ein Laden nach dem anderen wird ruiniert unter dem Vorwand "Wettbewerbsfähigkeit" und "Globalisierung" usw und keiner merkt es.

Zum Schluß dieses langen Aufsatzes noch ein Beispiel aus meinem eigenen Laden. Letzte Woche, im Intranet eine dpa-Meldung zu unserer Bilanz des 3. Quartals und zur 9 Monats-Bilanz 2005. Alles supi, Gewinnsteigerung über der Analystenmeinung, Kurssprung der Aktie, das abgeschlossene Quartal war eins der besten der Firmengeschichte, wir wuchsen entgegen dem Markttrend. Das wurde von unserem US-Oberfuzzi der Belegschaft auch so im internen Newsletter mitgeteilt. Uns geht es richtig gut und es wird eigentlich auch gut gewirtschaftet. Jetzt ist das, was bei anderen das Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld ist, bei uns eine unternehmenserfolgsabhängige Prämie. Als nächstes Stichwort sage ich interne Zielvereinbarungen. Muß ich noch mehr sagen? Jeder einzelne der Mitarbeiter hat sich massiv für den Unternehmenserfolg eingesetzt, wir haben riesige Umsatzzahlen erreicht und jetzt sollen die Arbeitnehmer über interne Ziele, die von vornherein unerreichbar sind, mit weniger Geld abgespeist werden? Damit der Gewinn noch weiter steigt? Nach außen wird alles rosarot verkauft und nach innen in tiefstem schwarz, als wenn wir der Pleite entgegen steuern.

Mir braucht keiner was über Globalisierung, Shareholder Value und sonstigen Blödsinn zu erzählen. Genau so wie mir Rogowski, Ackermann und sonstige Verbrecher mir auch nichts erzählen brauchen. Dem Kapital und der Wirtschaft ist die soziale Verantwortung abhanden gekommen und dafür gilt es zu kämpfen. Denn in unserer Verfassung steht, daß Eigentum verpflichtet. Und danach muß gehandelt werden. So lange das nicht passiert, ist es richtig, daß die Leute auf die Straße gehen.


Gruß

Andreas


So isses und nicht anders.

Gruss
Wilfried
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Hallo Wilfried,

der Grundsatz stimmt und hat den Kern getroffen!!!

1. Die Politik ist der Spielball der Wirtschaft (Konzerne)

2. Solange sich die breite Bevölkerung für "dumm" verkaufen lässt passiert garnicht's (iq Problem)


MfG
Uwe
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Gast
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